Bericht zur 62. Jahrestagung der DGLRM
vom 17. – 19. Oktober 2024 als Vierländertagung (Deutschland, Schweiz, Österreich, Liechtenstein), Air Force Center, Militärflugplatz Dübendorf, Schweiz
Die Tagung fand im Flieger-Flab-Museum am Air Force Center auf dem Militärflugplatz Düdendorf statt, der Wiege der Schweizer Luftfahrt und inmitten der historischen Exponate der Schweizer Militäraviatik statt. Das Get-Together am Donnerstag Abend wurde im Hangar 4 (UZH Space Hub Hanger) am Innovationspark auf dem Flugplatzgelände durchgeführt. Das Tagungsprogramm bestand aus einem Hand-in-Hand von Fortbildungsvorträgen und wissenschaftlichen Vorträgen. Eine Sitzung wurde wieder durch die YOUNG DGLRM gestaltet. Ein spezielles Round Table beschäftigte sich mit der Zivil-militärischen Zusammenarbeit. Auf der Tagung wurde der Rainer-Kowoll-Nachwuchspreis der DGLRM, der Albrecht-Ludwig-Berblinger-Preis der Deutschen Akademie für Flug- und Reisemedizin, drei Posterpreise der Jahrestagung, drei Coins der DGLRM und die Goldene Ehrennadel der DGLRM 2024 verliehen.
Die Grussworte zum Kongress der Deutschen Gesellschaft für Luft- und Raumfahrtmedizin (DGLRM) in Dübendorf wurden von Prof. Dr. Dr. Oliver Ullrich, Präsident der DGLRM und Tagungspräsident, Oberstlt. Dr. Denis Bron, Co-Tagungspräsident, Dr. Bianca Lins, Co-Tagungspräsidentin, Andre Ingold, Stadtpräsident Dübendorf, Generalarzt Dr. Bernhard Groß, Generalarzt der Deutschen Luftwaffe, Divisionär Peter Merz, Kommandant der Schweizer Luftwaffe, Oberst Dr. Andres Kunz, Direktor des Fliegerärzlichen Instituts der Schweizer Luftwaffe, und Dr. Grégoire Schrago, Président de la Société Suisse de Médecine Aéronautique (SSAVmed), gesprochen. Die Grussworte betonten die historische und aktuelle Bedeutung des Tagungsortes für die Luftfahrt. Die Redner hoben hervor, dass Dübendorf, als ältester Militärflugplatz der Schweiz, ein Ort des Pioniergeists und der Innovation ist, der über Jahrzehnte hinweg zivil-militärische Zusammenarbeit und technische Fortschritte gefördert hat. Sie hoben die Bedeutung internationaler Kooperationen und den Austausch von Wissen hervor, um die Herausforderungen unserer Zeit gemeinsam zu bewältigen. Die Tagung bietet eine wichtige Plattform, um Ideen zu entwickeln, die Luft- und Raumfahrtmedizin voranzutreiben und die Zusammenarbeit zu stärken.
Die Tagung wurde mit einer vielbeachteten Keynote von Dr. Bianca Lins, Leiterin Weltraumangelegenheiten der Liechtensteinischen Landesverwaltung, zum Thema “Liechtenstein im Weltall – Chancen und Herausforderungen der New Space Economy im Angesicht geopolitischer Spannungen?” eröffnet. Prof. Dr. Dr. Oliver Ullrich stellte danach mit dem Übersichtsreferat “Space and Aviation in Dübendorf – von den Anfängen zum New Space” den Tagungsort vor.
Die wissenschaftliche Sitzung "Militärische Flugmedizin" widmete sich der Optimierung und Beurteilung von Flugtauglichkeit, Sauerstoffversorgung und körperlicher Fitness von Militärpiloten unter extremen Bedingungen. Zunächst wurde ein tragbares Helikopter-Sauerstoffversorgungssystem (PHODS) getestet, das in Höhen bis zu 17.990 Fuß die Sauerstoffversorgung der Besatzung sichern soll. Die Ergebnisse zeigten jedoch, dass das System in seiner aktuellen Konfiguration, insbesondere unter Belastung, keine zuverlässige Sauerstoffversorgung gewährleistet. Ein weiteres Projekt beschäftigte sich mit einem Textil-basierten Überwachungssystem, das die Vitalparameter von Piloten kontinuierlich erfasst. Die aufgezeichneten Daten erwiesen sich als weitgehend zuverlässig und könnten künftig dazu dienen, frühzeitig Leistungseinbußen zu erkennen. Eine weitere Studie untersuchte ein tragbares Testsystem, das das Sopite-Syndrom unter simulierten Bedingungen erfasst. Dabei zeigte sich, dass individuelle Muster der Bewegungsunverträglichkeit identifiziert werden können, um gezielte Überwachungsstrategien zu entwickeln. Abschließend wurde der Counter Movement Jump (CMJ) als Ergänzung zur etablierten Rumpf- und Nackenkraftdiagnostik vorgestellt. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass die dorsale Rumpfkette einen Einfluss auf die Sprungkraft hat und der CMJ möglicherweise als dynamisches Tool zur Bewertung der Rumpfstabilität dienen könnte. Die Session betonte die Bedeutung innovativer Überwachungs- und Testmethoden für die Sicherheit und Leistungsfähigkeit von Piloten
Die wissenschaftliche Session "Young DLGRM" behandelte aktuelle Forschungsprojekte und Entwicklungen in der Luft- und Raumfahrtmedizin, die von NachwuchswissenschaftlerInnen der Deutschen Gesellschaft für Luft- und Raumfahrtmedizin (DGLRM) vorgestellt wurden. Die Young DGLRM fördert die interdisziplinäre Zusammenarbeit, um Wissens- und Forschungsnetzwerke aufzubauen. Eine Studie untersuchte die Auswirkungen von 23 Stunden Schlafentzug auf die Blickentropie in einer 6df-Docking-Simulation und zeigte signifikante geschlechtsspezifische Unterschiede in der visuellen Informationsverarbeitung. Eine weitere Untersuchung analysierte die Effekte akuter Hypoxie auf die A1-Adenosinrezeptorverfügbarkeit im menschlichen Gehirn, wobei eine erhöhte Hirnperfusion und kognitive Leistungseinbußen festgestellt wurden. Eine systematische Literaturrecherche zu Biomarkern in der Orthopädie hob die Bedeutung entzündlicher Prozesse bei degenerativen Gelenkerkrankungen hervor, was für neue Therapieansätze relevant ist. Ein umfassendes Scoping-Review beschäftigte sich mit neuro-ophthalmologischen Risiken im kommerziellen Raumflug, um evidenzbasierte Leitlinien für Hausärzte zu entwickeln. Abschließend wurden modulare Systeme für biomedizinische Experimente unter veränderten Schwerkraftbedingungen präsentiert, die elektrophysiologische Messungen und chemische Fixierungen von Zellen auf diversen Gravitationsplattformen ermöglichen. Diese Hardware demonstrierte ihre Vielseitigkeit und Zuverlässigkeit in verschiedenen Experimenten, was die Forschung zu neuronalen Reaktionen auf veränderte Schwerkraft erheblich vorantreibt. Die Sitzung betonte innovative Ansätze und die Bedeutung interdisziplinärer Zusammenarbeit in der Luft- und Raumfahrtmedizin.
Die Sitzung "Luft- und Raumfahrtmedizinische Grundlagen" befasste sich mit neuen Ansätzen zur Gesundheitsüberwachung und Risikobewertung in der Luft- und Raumfahrtmedizin. Eine Studie zeigte, dass die Volumen-Computertomographie mit fraktioneller Flussreserven-Analyse eine bessere Risikostratifikation für koronare Herzerkrankungen ermöglicht, was für die Flugmedizin von Bedeutung ist. Eine Untersuchung von physiologischen Indikatoren zur Erfassung der Beanspruchung bei komplexen Aufgaben zeigte, dass die Generalisierbarkeit solcher Marker herausfordernd ist, aber potenziell zur Optimierung von Arbeitsprozessen beitragen könnte. Weitere Studien befassten sich mit der kardiovaskulären Reaktion auf orthostatische Belastung nach Bettruhe-Dekonditionierung und zeigten eine verstärkte sympathische Aktivierung, ohne jedoch eine orthostatische Hypertonie zu verursachen. Untersuchungen zur Wirbelsäulenanpassung unter veränderter Schwerkraft ergaben signifikante Veränderungen in der Wirbelsäulenkrümmung und der Muskelaktivität, was auf die Notwendigkeit gezielter Gegenmaßnahmen im All hinweist. Die Auswirkungen von Alkohol und hypobaren Bedingungen auf die Schlafqualität und Sauerstoffsättigung während simulierten Passagierflügen verdeutlichten ein erhöhtes Risiko von Hypoxien und kardiovaskulären Belastungen. Eine Studie zur Schlafqualität unter simulierten Überschallknallen zeigte, dass das Mach-Cut-off-Verfahren die Schlafstörungen verringern könnte, was für den zukünftigen zivilen Überschallflug von Relevanz ist. Die Sitzung betonte die Bedeutung präziser Diagnostik, der Anpassung an extreme Umweltbedingungen und der Entwicklung neuer Sicherheitsmaßnahmen in der Luft- und Raumfahrt.
Die Sitzung "Praktische Flugmedizin" behandelte wichtige Herausforderungen und innovative Ansätze im Bereich der Flugmedizin. Eine Studie untersuchte die Qualität der kardiopulmonalen Reanimation (CPR) in engen Kabinenräumen und zeigte, dass die Zweihelfermethode die No-Flow-Zeit signifikant erhöhte; es wurde empfohlen, unter beengten Bedingungen zunächst eine Einhelfermethode zu verwenden. Sleep Inertia, ein Zustand der psychomotorischen Verlangsamung nach dem Aufwachen, wurde als neue Herausforderung für zukünftige Operationen mit reduzierten Crew-Mitgliedern identifiziert, wobei Gegenmaßnahmen wie Koffein und Lichtexposition hilfreich sein könnten. Ein Projekt im Rahmen von DLR und EASA fokussierte sich auf neue diagnostische und therapeutische Ansätze für kardiovaskuläre Erkrankungen, Eine weitere Präsentation thematisierte die Höhen-Dekompressionskrankheit, die durch Faktoren wie Höhe, Dauer und körperliche Aktivität beeinflusst wird. Die aktuelle Herangehensweise basiert auf einer Risikomatrix und spezifischen Managementverfahren. Die Analyse von Flugunfällen in der Schweiz zeigte, dass heiße Wetterbedingungen die Leistung erfahrener Piloten beeinträchtigen können, insbesondere durch die Vernachlässigung der Auswirkungen niedriger Luftdichte auf die Flugstrategie. Es wurde empfohlen, spezielle Vorbereitungen und Checklisten für heiße und bergige Bedingungen einzuführen, um die Sicherheit zu erhöhen. Die Session hob hervor, wie wichtig es ist, sowohl physische als auch kognitive Herausforderungen im Flugbetrieb zu verstehen und geeignete Präventionsmaßnahmen zu entwickeln.
Die Fortbildungs-Sitzungen behandelten verschiedene aktuelle Themen aus der Luft- und Raumfahrtmedizin, die die medizinische Sicherheit und Eignung von fliegendem Personal betreffen. Ein Vortrag zu ophthalmologischen Herausforderungen betonte die Bedeutung einer frühzeitigen Erkennung und Behandlung von Augenerkrankungen wie Glaukom oder Keratokonus, um die Fliegertauglichkeit zu sichern. Die Einführung von Just Culture-Programmen wurde als eine zentrale Maßnahme diskutiert, um eine offene Fehlerkultur zu fördern und die Balance zwischen individueller und systemischer Verantwortung zu wahren. Das Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung (BAF) berichtete über flugmedizinische Untersuchungen und aktuelle Themen im Bereich der Flugsicherung. Eine Präsentation zu Troponinerhöhungen verdeutlichte die neuen ESC-Leitlinien und deren Bedeutung für die Unterscheidung zwischen Herzinfarkt und anderen Ursachen, um unnötige Untauglichkeiten zu vermeiden. Der Bereich Arbeitsmedizin wurde mit einem Fokus auf die Eignungsbeurteilungen für fliegendes Personal und die Wichtigkeit einer synergistischen Zusammenarbeit zwischen betriebs- und fliegerärztlicher Betreuung hervorgehoben. Die Herausforderungen der mentalen Gesundheit wurden im Kontext der Entwicklungen seit dem Germanwings-Absturz diskutiert, und es wurden Vorschläge zur Standardisierung der psychiatrischen Beurteilungen von Piloten gemacht. Ein Impfupdate 2024 behandelte Basis- und Reiseimpfungen, wichtige Schutzmaßnahmen und ihre Relevanz für die Luftfahrt. Der Vortrag zu Human Factors in der Luftfahrt und Chirurgie zeigte Parallelen und Unterschiede in Sicherheitspraktiken auf und hob hervor, wie sich beide Bereiche gegenseitig bereichern können, insbesondere durch die Integration von Technologie und strukturierten Abläufen. Abschließend wurden Fallbeispiele aus der flugmedizinischen Begutachtung vorgestellt, die komplexe orthopädisch-traumatologische Fälle betrafen, und die Vorgehensweisen zur Eignungsbeurteilung sowie notwendige Konsultationen und Einschränkungen erläutert.
Eine Keynote von Ulrich Kübler (Airbus) zum Starlab, den neuen Space Stations nach dem Ende der Internationale Raumstation (ISS) im Jahre 2030, zeigte nicht nur deren Bedeutung für die nächste industrielle Revolution im Erdorbit auf, sondern auch deren immense Auswirkungen auf die Luft- und Raumfahrtmedizin.
Der Gesellschaftsabend wurde mit einer persönlichen Grussbotschaft von Herrn Brigadier Peter Soller, Kommandant Bodengestützte Luftverteidigung Brigade 33, eröffnet und fand in der Museumshalle statt. Der Abend beinhaltete die Show «Spirit of Dreams” über den Traum vom Fliegen, erzählt mittels der Geschichte eines Grossvaters und seiner Enkel bei der Verwirklichung ihrer Träume. Durch die Kombination von Licht, Laser und Wasser wurde den Exponaten Leben eingehaucht, begleitet von einer speziell für diese Show komponierte Musik. Auf dem Gesellschaftsabend wurden der Albrecht-Ludwig-Berblinger-Preis der Deutschen Akademie für Flug- und Reisemedizin an Herrn Tommaso Zaccaria für die Arbeit “Survival of Environment-Derived Opportunistic Bacterial Pathogens to Martian Conditions: Is there a Concern for Human Missions to Mars?” verliehen. Als Höhepunkt des Abend wurde die Goldene Ehrennadel der DGLRM 2024 an Prof. Dr. Claudia Stern verliehen, die Laudatio hielt Herr Dr. Jörg Hedtmann in Vertretung der Preisträgerin 2023, Frau OFA a.D. PD Dr. Carla Ledderhos.
Nach zwei Tagen mit neuen Impulsen aus der Luft- und Raumfahrtmedizin, einem exzellenten Fortbildungsprogramm und viel und intensiven kollegialen und freundschaftlichen Austausch bedankte sich der Tagungspräsident Prof. Dr. Dr. Oliver Ullrich bei allen, die diese Tagung möglich gemacht haben. Sie wird uns allen noch lange in Erinnerung bleiben.
Prof. mult. Dr. Dr. Oliver Ullrich
Präsident der DGLRM